Eine Schule ohne Lehrer? Ein Studium ohne Vorlesungen? Und später eine Arbeitsstelle ohne Abschluss? Kein Problem! Jedenfalls an der Programmierschule 42 in Heilbronn. Seit Juni beschäftigen sich 120 Menschen im Rahmen eines recht ungewöhnlichen Studienmodells allein mit Programmieren – oder „Coding“, wie es in der Fachsprache heißt.

Flexibilität
Svenja Haas ist eine dieser 120 Schüler und hat im Frühjahr alle drei Einstiegshürden gemeistert, die zur Teilnahme am 42-Programm qualifizieren. Wie genau, da ist sie sich rückblickend selbst nicht mehr so ganz sicher, wie sie lachend zugibt. Doch die junge Frau ist das beste Beispiel dafür, dass die Behauptung der 42-Macher stimmt: Man benötigt keinerlei IT-Vorkenntnisse, um an der Schule aufgenommen zu werden. Logisches Denkvermögen, Selbstdisziplin und ein gutes Zeitmanagement sind dafür die wichtigsten Attribute.
Finanziert wird die Einrichtung von der Dieter-Schwarz-Stiftung und ist daher für alle Schüler kostenlos. Diese müssen eigeninitiativ diverse Coding-Aufgaben lösen und die Ergebnisse von ihren Mitschülern evaluieren lassen. Wem das erfolgreich gelingt, der bekommt dafür Punkte und schaltet weitere Aufgaben frei.
Das alles geschieht ohne feste Arbeitszeiten; jeder und jede kann sich seine Zeit selbst einteilen. Doch den ewigen Studenten gibt es an der 42 nicht: Wer über einen längeren Zeitraum keine Aufgaben bearbeitet, dem droht der Fall ins virtuelle Schwarze Loch und damit eine Art Exmatrikulation. Svenja Haas hat nach ihrem Abitur im Vorjahr lange überlegt, in welche Richtung es beruflich gehen soll. Statt eines Veterinärmedizin-Studiums hat sie sich letztlich für die 42 Heilbronn entschieden – auch wenn die Institution keine akademischen Titel verleihen darf. „Die Tatsache, das 42-Schüler bei Unternehmen gefragt sind, war für mich Beweis genug, dass man eine Zukunft hat“, sagt sie. Doch wie funktioniert das in der Praxis überhaupt – Lernen ohne Lehrer, Lehrmaterialien und Vorwissen? „Manchmal wäre ein Anhaltspunkt schön“, sagt Svenja, „aber es gibt immer Mitschüler, die bereits weiter sind als man selbst und dann bei Fragen weiterhelfen können.“ Dies ist ein Kern-Ansatz der Einrichtung: Schüler helfen Schülern, alle lernen durch gegenseitigen Austausch. Und: Im Zweifelsfall hilft das Internet.

CO2-sparend
Wer sein Handwerk später beherrscht, der kann sogar mit Programmieren der Umwelt etwas Gutes tun. Der Gedanke dahinter: Je kleiner ein Code, desto weniger Datenmengen und damit weniger Energie sind nötig, um diese Daten abzurufen. Und ein geringerer Energieverbrauch bedeutet: weniger CO2-Emissionen.
Der niederländische Programmierer Danny van Kooten erklärt etwa auf seiner Internetseite, dass er einen seiner millionenfach genutzten Codes im vergangenen Jahr um 20 Kilobyte verkleinert hat. Das dadurch eingesparte CO2 entspräche fünf Flügen von Amsterdam nach New York City. Bis Svenja solche Codes schreibt, vergeht noch Zeit. Drei bis fünf Jahre dauert das 42-Programm theoretisch. Die Erfahrungen anderer Standorte zeigten jedoch, dass viele Schüler bereits währenddessen von Unternehmen „abgeworben“ würden – und das ohne Abschluss.
Hintergrund
Die 42 Heilbronn ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von Programmierschulen. In Deutschland gibt es noch einen zweiten, ebenfalls neueröffneten Standort in Wolfsburg. Die Lerninhalte sind überall identisch und es ist im späteren Studienverlauf möglich, die Standorte frei zu wechseln. Arbeitssprache ist auch deswegen überall Englisch. Mehr als 12 000 Studenten sind an 35 Standorten in 22 Ländern Teil von 42. Viele weitere Informationen gibt es im Internet unter www.42heilbronn.de.
Beitrag von Nils Buchmann