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Praktika sind unglaublich wichtig

Sich mit ihren Eltern über ihren Berufswunsch auszutauschen, das gehört für viele Jugendliche dazu. Doch wie ergeht es Eltern, deren Kinder vor dem Schulabschluss stehen, oder die sich auf der Suche nach einem Studium, einer Ausbildung oder vielen weiteren Möglichkeiten befinden?

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Nicht erst bei Schulabschluss, sondern schon während ihrer schulischen Laufbahn unternehmen viele Schüler*innen erste Schritte für ihre spätere berufliche Karriere. Dazu gehören Praktika, Unternehmensbesuche oder das Schreiben von Bewerbungsunterlagen. Sich mit ihren Eltern über ihren Berufswunsch auszutauschen, gehört für viele Jugendliche dazu. Doch wie ergeht es Eltern, deren Kinder vor dem Schulabschluss stehen, oder die sich auf der Suche nach einem Studium, einer Ausbildung oder vielen weiteren Möglichkeiten befinden? Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen, damit sie den richtigen Weg ins Berufsleben finden? Und wer unterstützt die Eltern eigentlich in dieser Phase? Petra Wörthmann und Stefan Kircher schildern ihre Eindrücke.

Herr Kircher, Ihre Tochter Isabel hat ein einwöchiges Berufspraktikum im Bereich Grafikdesign bei einer Agentur in Heilbronn gemacht. Wie haben Sie das erlebt?

Stefan Kircher: Meine Tochter kam am ersten Tag kaputt nach Hause. Von morgens neun Uhr bis abends 5 Uhr zu arbeiten, das ist natürlich anders als in die Schule zu gehen. Ich erinnere mich noch an meinen Berufsstart damals. Das erste Mal einen ganzen Arbeitstag mitzumachen, ist schon was anderes.

Wusste Isabel vorher schon, dass sie in den Bereich Grafikdesign gehen möchte?

Kircher: Nein, sie hatte überhaupt keine Ahnung, was sie eigentlich interessiert. Meinen Erfahrungen nach ist es in diesem Alter unheimlich schwierig, etwas aus den Kindern herauszulocken, das beruflich für sie interessant sein könnte. Mit 14 Jahren sind sie noch Kinder, das muss man einfach so sagen. Sie sind auf dem Weg, erwachsen zu werden. Aber dort sind sie bei weitem noch nicht angekommen.

Wie haben Sie Isabel unterstützt?

Kircher: Meine Frau ich haben zu ihr gesagt: Überleg dir, was dir Spaß machen könnte. Und dann kannst du es ausprobieren. Wir haben ihr nichts vorgegeben, sie hat alles selbst herausgesucht, was sie machen könnte, und in welchen Bereich es gehen kann.

Und letzten Endes kam ihr doch eine Idee, wo sie ihr Praktikum machen möchte.

Kircher: Ja, genau.

Hat sie das Berufspraktikum bei Agentur selbst angefragt, oder haben Sie ihr dabei geholfen?

Kircher: Sie hat es selbst herausgesucht und eine Bewerbung geschrieben, in der Schule hat sie das ja schon gelernt. Meine Frau und ich haben sie natürlich unterstützt, wenn sie Fragen hatte, aber sie hatte das selbst zu machen, sage ich mal. Es gibt ja jede Menge Möglichkeiten, sich zu informieren. Es war Isabels Aufgabe, das anzugehen.

Hat sie nach Ihrer Unterstützung gefragt?

Kircher: Wir haben abgesprochen, dass sie das allein macht. Sie hat uns hinterher ihren Lebenslauf gezeigt. Wir haben ihn überflogen und ihr Verbesserungsratschläge gegeben – eben die ganz normale Eltern-Kind-Hilfestellung. Aber es sollte schon ihr Ding sein, das selbst auszuprobieren.

Wenn Sie Hilfestellung geben, sind Sie sich dann sicher, welche Tipps Sie für die Bewerbung geben? Es hat sich ja über den Lauf der Zeit viel geändert bei diesem Verfahren. Haben Sie sich dabei sicher gefühlt?

Kircher: Nein, ich musste auch mal ein bisschen nachlesen. Wir haben uns früher schriftlich per Brief beworben, sowas gibt’s ja heute nicht mehr, sondern hauptsächlich online. Es fängt schon damit an, dass Jugendliche heute selten eigene E-Mail-Adressen haben. Die ganzen Kontakte gehen heute nur noch über Social Media. Eine E-Mail-Adresse war für meine Tochter bisher völlig uninteressant. Für die Bewerbung habe ich ihr dann eingerichtet, dass ihr Name in meiner E-Mail-Adresse drinsteht, damit sie sie abschicken kann. Aber die Kinder heutzutage sind einfach auf anderen Kanälen unterwegs. Alles läuft über das Smartphone.

Frau Wörthmann, wie war das bei ihrer Tochter Rebekka?

Petra Wörthmann: Meine Tochter Rebekka hat in der achten Klasse sowohl die Aufgaben im Deutschunterricht, klassisch nach Lehrplan Bewerbungstexte zu schreiben, als auch Kompetenztraining, in dem sie ihre Stärken und Schwächen erkennen. Unser Vorteil ist, dass die Lehrerin meiner Tochter nach den neuesten Kriterien bewertet. So haben wir schon in dieser Klassenstufe jemanden haben, der darauf achtet, dass die Formalitäten stimmen, was in ein Bewerbungsschreiben reingehört etc. Was ich festgestellt habe: Meine Tochter mit ihren 14 Jahren ist wahrscheinlich eine der wenigen in ihrem Alter, die schon ungefähr weiß, wo sie hinwill. In diesem Alter sind viele Kinder von alldem noch weit entfernt, das merkt man.

Aber ihre Tochter schon, was sie will.

Wörthmann: Ja, sie würde gern in den Bereich Erziehung gehen.

Und wie sehr interessiert sie sich schon dafür, wie sie den Beruf ergreifen kann?

Wörthmann: Ich glaube, sie sortiert noch nicht weiter nach rechts oder links. Im Moment ist das die Schiene, die sie sich vorstellen kann. Sie hat schon Berührungspunkte zu dem Berufsfeld, weil wir sehr kirchlich aktiv sind und ich auch Familienarbeit mache. So war Rebekka schon oft auf Freizeiten dabei und hat sich ganz selbstverständlich um die Kleinen genommen und mit ihnen gespielt. Das macht ihr Spaß. Als nächstes müsste man schauen, dass Rebekka nach Möglichkeiten sucht, Praktika in diesem Bereich zu machen. Ich denke, man sollte sich gerade in diesem Fall mehrere Sachen anschauen, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie der Beruf wirklich abläuft. Das Wichtigste, was die Kinder brauchen, sind deshalb Praktikumsplätze. Wegen Corona ist das derzeit aber schwierig.

Welche ist denn Ihren Erfahrungen nach die schwierigste Entscheidung bei einem Schulabschluss?

Wörthmann: Bei Realschüler*innen besteht die Schwierigkeit tatsächlich darin, dass sie die Möglichkeit haben, entweder in einen Ausbildungsbetrieb oder weiter zur Schule zu gehen. In der Klasse meiner großen Tochter Miriam war es so, dass viele ihrer Klassenkamerad*innen wussten: Sie machen die Realschule, dann drei Jahre Aufbaugymnasium und dann haben sie ihr Abitur. Für diese Schüler*innen war es aber eher uninteressant, sich um ein Berufsfeld zu kümmern, sie sich auf das Abitur festgelegt haben.

Und wie war es bei Miriam?

Wörthmann: Da war es eher schwierig. Sie wusste, dass sie nach der Realschule aufhören will. Zwei Dinge haben ihr Spaß gemacht: Der Umgang mit Menschen und technisches Zeichnen. Als sie in der achten Klasse war, also vor Corona, haben wir die Berufsbildungsmesse im Redblue besucht. Wir haben alle Aussteller durchgelesen und Miriams Favoriten dann abgeklappert.

War Miriams Ausbildungsbetrieb dabei?
Wörthmann: Ja, aber nicht der Beruf. Miriam hat damals den Beruf technische*r Produktdesigner*in im Blick gehabt. Durch die Kooperation der Mörike-Realschule mit der Firma Marbach hat sie schon ein dreitägiges Praktikum in dem Bereich gemacht. Das fand Miriam toll, sie hat aber dann festgestellt, dass der Büroalltag nichts für sie ist. Auch die evangelische Stiftung Lichtenstern ist ein Kooperationspartner der Schule, dort hat Miriam dann auch ein Praktikum gemacht, bevor Heilerziehungspfleger*in zu werden, konnte sich gut vorstellen: Miriam ist arbeiten gegangen in den Herbstferien, sie hat von morgens bis nachmittags in die Pflege von erwachsenen Schwerbehinderten reinschnuppern können, von der Essensausgabe bis zur Beschäftigungstherapie. Dazu muss man sich auch selbst einbringen und seine freie Zeit dafür opfern. Dann ging es aber mit Corona los, und Miriam konnte kein weiteres Praktikum mehr machen, weil die Lichtenstern und auch andere sozialpädagogische Einrichtungen wie Sonderschulpädagogik geschlossen waren.

Und dann?

Wörthmann: Miriam hat Vermessungstechnik ausprobiert, eine Mischung aus technischem Zeichnen und der Arbeit an der frischen Luft. Sie hat beim Landratsamt ein Praktikum gemacht, heute macht sie dort eine Ausbildung als Vermessungstechnikerin. Heute sagt sie, sie ist eigentlich ganz froh, dass sie nicht in die Pflege gegangen ist. Schon jetzt wird sie in Anspruch genommen, nach den langen Arbeitstagen an der frischen Luft kommt sie glücklich, aber kaputt heim. Die Arbeit in der Vermessungstechnik ist trotzdem nicht so körperlich wie in der Pflege.

Wie haben Sie sie bei dem Entscheidungsprozess unterstützt?

Wörthmann: Es gehörten schon viele Gespräche und viel Mut machen dazu.

Kircher: Rebekka macht auch noch ein freiwilliges Praktikum bei einer Bank während ihrer Ferien. Davon war ich überrascht, aber scheinbar ist das bei ihr angekommen. Ich kann nur dazu raten, ein Praktikum zu machen, völlig egal, ob es gut ist oder nicht. Hinterher weiß man, ob es nichts für einen ist, oder ob es tatsächlich in diese Richtung geht. Selbst wenn es einem nicht gefallen hat, ist das ein Gewinn für die Zukunft. Das ist ein wichtiger Punkt, dass sich die Kinder trauen etwas auszuprobieren. Auch wenn man dann im Nachhinein sagt, ich mache noch die drei Jahre Schule weiter.

Wie sehen Sie beide Ihre Rolle bei den Entscheidungen Ihrer Kinder?

Kircher: „Ich sehe sie als beratend. Mit 14, 15 Jahren muss man langsam selbst in die Gänge kommen, das haben wir unserer Tochter auch signalisiert. Das ist ein neuer Sprung, ein neuer Bereich. Und wenn sie Fragen hat, wenn sie was auf dem Herzen hat, besprechen wir das miteinander und finden mit Sicherheit gemeinsam eine Lösung, wenn sie Input gibt. Das erwarte ich schon. Also mitgestalten. Und dann sind wir als Familie auch voll dabei, sie zu unterstützen.“

Wörthmann: Ich bin ehrlich: Dadurch, dass Miriams Interessen so unterschiedlich sind, habe ich wahrscheinlich etwas mehr eingegriffen, als wenn es zwei ähnliche Dinge gewesen wären. Ich habe ihr gesagt, dass wenn sie mit 16 mit der Heilerziehungspflege beginnt, sie dann sehr jung dafür ist. Ich habe ihr gesagt, dass es mir wohler wäre, wenn sie zwei Jahre älter und in sich stabiler wäre. Nicht, weil wir es ihr nicht zugetraut haben. Sondern um sicher zu sein, dass Miriam gesehen hat, welche körperliche und mentale Verantwortung sie dann mit 16 trägt. Also haben gesagt, wir warten auf die Praktika, die dann wegen Corona leider nicht alle möglich waren, und schau dir noch genügend unterschiedliche Einrichtungen an, um ein Gefühl zu kriegen.

Worüber haben Sie noch gesprochen?

Wörthmann: Es ging zum Beispiel auch um die Schule in Schwäbisch Hall. Da haben wir Miriam zugesichert, dass wir sie etwa zum Bahnhof fahren können, wenn sie in Stuttgart unterrichten muss, oder wir haben die Verbindung herausgesucht. Da waren wir als Eltern gefragt, Ängste zu nehmen und zu sagen: Wenn es dein Wunsch ist, kriegen wir das hin. Die eigentliche Entscheidung kann man seinen Kindern nicht abnehmen. Man kann nur viele Gespräche führen und sagen: Probier‘s aus, geh noch mal ein Praktikum machen. Mir tun die Jugendlichen leid, die solche Entscheidungen treffen müssen, und deren Auswahl an Praktikumsplätzen coronabedingt eingeschränkt ist. Ich finde Praktika unglaublich wichtig. Ohne sie können die Jugendlichen keine Entscheidung treffen.

Kircher: Ja, ich auch.

Fühlen Sie sich gut unterstützt als Eltern?

Kircher: Ja, Unterstützungen wäre immer da gewesen durch die Lehrer oder durchs Arbeitsamt. Ich bin mir sicher, dass es für diejenigen Schüler*innen, die nirgendwo unterkommen, mit dieser Unterstützung gute Chancen haben. Auch wenn es nicht das Traumpraktikum ist.

Was raten Sie bei Absagen?

Kircher: Ich finde, wenn man im beruflichen Bereich absagen bekommt, sei es eine normale Bewerbung im Job oder als Ausbildung oder Praktikantenplatz, muss man das sportlich sehen. Man darf das auf keinen Fall persönlich nehmen, sich als schlecht abstempeln. Es gibt so viele Spieler auf dem Arbeitsmarkt. Eine gewisse Konkurrenz ist immer da. Da sind auch die Eltern gefragt, die Jugendlichen zu unterstützen und aufzumuntern, wenn es nicht klappt.

Zu den Personen

Petra Wörthmann ist stellvertretende Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Stadt Heilbronn. Ihre Tochter Miriam, 17 Jahre, befindet sich im ersten Ausbildungsjahr zur Vermessungstechnikerin bei einer regionalen Firma. Die andere Tochter, Rebekka, besucht die achte Klasse der Mörike-Realschule.

Stefan Kircher ist Elternbeiratsvorsitzender an der Mörike-Realschule. Seit 2021 gehört er dem erweiterten Vorstand des Gesamtelternbeirats Heilbronn an, wo er die Real- und Gesamtschulen (Sekundarstufe) vertritt. Seine Tochter Isabel ist 15 Jahre alt und geht in die neunte Klasse der Mörike-Realschule.

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